Die Geschichte
Samoa 1904
Vergessene Fotografien des Bruders meines Großvaters, Otto Tetens wurden fast
hundert Jahre nach ihrer Entstehung wieder entdeckt. Eine Reise nach Samoa mit
einer Auswahl dieser Fotos machte ihren Wert deutlich, was in diesem Druck seinen
Niederschlag findet und in der Bochumer Ausstellung des Museums erstmalig in
Deutschland der Öffentlichkeit gezeigt wird. Die Geschichte Samoas ist keine
geschriebene Historie, sondern eine Überlieferung. An der Zeitenwende von der
unberührten eigenen Gesellschaft zur Kolonialgesellschaft, die zur Unabhängigkeit
und Selbständigkeit (1962) Samoas führte, sind Fotos der Anker zur Geschichte des
Landes. Kaum ein Volk ist von Fotos seiner Geschichte um 1900 so fasziniert, wie
die Samoaner. Und das macht den besonderen Wert der Sammlung Otto Tetens
aus: er fotografierte vieles Einmalige, Spontane. Ein Großteil der Samoaner auf den
Bildern sind Personen der Öffentlichkeit, namentlich bekannt. Einige Personen sind
gar nur auf Fotos von Otto Tetens abgebildet: es existieren offenbar keine anderen
Fotografien von ihnen, obwohl sie seinerzeit sehr prominent waren.
Otto Tetens wurde 1865 in Rendsburg geboren als Sohn des Polizeimeisters. Ein
Bruder seines Vaters war Kapitän in Hamburg und hielt sich jahrelang in Palau und
Micronesien auf. Vielleicht war das ein Grund für den jungen Wissenschaftler,1902
den Auftrag der königlichen Gesellschaft der Universität Göttingen zu übernehmen,
auf Samoa das Apia Observatorium zu errichten . Im Rahmen von Forschungen zu
Wetter, Klima, Magnetismus und Seismik sollte dort von Deutschland ein Beitrag zu
einer weltweiten Erkundung geleistet werden, heute würde man sagen:
Umweltforschung. Im April 1902 schiffte sich Otto Tetens mit seinen Gerätschaften
für die unterschiedlichen Aufgaben an Bord der Oldenburg des Norddeutschen Lloyd
von Genua nach Sydney ein und erreichte Samoa am 11. Juni 1902. Er begann
sofort mit der Vorbereitung zum Bau des Observatoriums, wählte einen der
schönsten Plätze von Samoa auf der Spitze der Halbinsel Mulinuu für das Institut
aus und errichtete bis zum November (Frühling in Samoa!) das Observatorium. An
gleicher Stelle steht noch heute das Observatory for Meteorology of Apia. Es hat
ununterbrochen seit Otto Tetens die Wetterdaten erfasst –und ist damit im Besitz der
ältesten kontinuierlichen Daten aus dieser Region der Welt.
Otto Tetens baute das Observatorium im samoanischen Stil: alle Gebäude waren
Fale: eine ovale Hallenkonstruktion aus Holz, allseitig offen, mit einem Dach aus
Zuckerrohrblättern. Klimatisch genau das richtige für das Land, vom Gefühl für seine
Umgebung genau das richtige für die Samoaner. Es sollte seinen Nachfolgern
obliegen, diese Feinfühligkeit durch Abriss der Fale und Tausch gegen "solide"
deutsche Gebäude zu zerstören. Die Fotos von Otto Tetens sind daher auch ein
wichtiges Zeitdokument über Bau und Technik der Falekonstruktion. Detailliert hat er
sich dieser Dokumentation gewidmet, vielleicht ein in der Zukunft noch
entscheidender Beitrag zum Erhalt dieser Tradition.
Das Leben der Samoaner und der Europäer schildert Otto Tetens anschaulich,
ergänzend zu seinen Fotografien in seinem Tagebuch der ersten 6 Monate, das im
Übersee-Museum Bremen erhalten ist. Seine umfangreiche Sammlung, die das
Museum 1909 erwarb, umfasst viele wichtige Details zur Geschichte Samoas. Es
bleibt Historikern und Ethnologen überlassen, daraus weitere Schlüsse zu ziehen
und aus Otto Tetens Sammlung und Niederschriften, zusammen mit seinen Fotos,
für die Geschichte Samoas einen Beitrag zu leisten.
Die Veröffentlichung der Fotos als KatalogDie Ausstellung des Museum Bochum
möchte durch die Veröffentlichung der Fotografien als Katalog,Einblick geben in die
Geschichte und das Interesse für das Land Samoa sowie seiner Menschen wecken.
Kaum ein geographischer Name mit dem Bekanntheitsgrad wie Samoa ist so
fremdund fern, wenn es darum geht , das Land auf der Weltkarte zu finden. Es ist
nicht ein wirkliches Tourismus-Ziel in der Südsee, obwohl landschaftlich und
klimatisch ideal. Es ist ein Land mit einer traditionsbewussten, gleichzeitig sehr
modern orientierten Gesellschaft, die zwar in der Rangliste der Prokopf-Einkommen
in der Welt sehr weit unten rangiert, aber dennoch eine Harmonie und Kraft hat, eine
wichtige Rolle in Ozeanien zu spielen. Das gilt für Kultur, Sport und Wirtschaft
gleichermaßen. Als Europäer kann man nur wünschen, dass Samoa diesen eigenen
selbstbewussten Weg in die Zukunft halten kann und nicht verkümmert als
Tourismus-Lokation für Menschen ohne Gefühl für die Welt, in der sie sich aufhalten.

Otto Tetens kam 1905 nach Deutschland zurück, wurde dann nach Stationen in Kiel
und anderen Orten Professor an der Berliner Universität für Astronomie und leitete in
Lindenberg bei Berlin die astronomische Beobachtungsstation. Viele seiner
Veröffentlichungen sind in die Fachliteratur eingegangen. Bestimmte
Berechnungsmethoden wurden Grundlage für weitere Forschungen. Er starb im
Frühjahr 1945, seine sterblichen Überreste sind in den Wirren der letzten
Kriegswochen verschollen - auf ewiger Reise vielleicht. Er war ein Wissenschaftler
mit eigenem Profil, nicht einfach und leicht für seine Umwelt, nicht in allen Bereichen
streng nach den Anforderungen seiner Vorgesetzten arbeitend, dagegen aber mit
viel Interesse und Offenheit für das Leben um ihn herum, die Menschen, die er traf.
Seine Fotos, die Fotos eines Wissenschaftlers mit Herz, zeigen das.
Herzlichen Dank an dieser Stelle für die Ermöglichung der Ausstellung in Bochum an
das Museum Bochum, der Leiterin der Abteilung Ozeanien im Überseemuseum
Bremen Dr. Sylvia Ohnemus für ihr freundliches Entgegenkommen, Tobias Sperlich,,
der seine Doktorarbeit über Otto Tetens und seine Sammlung schreibt für seine Tips
für Samoa.
An Marco Kappenberger, in Apia Samoa, der half, die Bedeutung der Bilder für
Samoa zu erkennen, an Ulrike Hertel Akuino, Leiterin des Historischen Museums in
Apia, die uns einen intensiven Blick,auf Details in den Bildern erschloss und diese
Bilder auch erstmals der samoanischen Öffentlichkeit zeigte dem Apia Observatory
für die Unterstützung und Durchführung einer Ausstellung der Otto Tetens-Bilder
anlässlich der Hundertjahr-Feier der Gründung im Jahr 2002.
Ein besonderer Dank gilt dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten von Samoa,
Hon. Misa Telefoni von Retzlaff für seine Unterstützung.
Meiner Mutter, Ingeborg Böttger, geb. Tetens bin ich dankbar, dass sie diesen
Schatz an Fotos gepflegt und gehütet hat, damit unsere Generation ihn heben
durfte.
Ohne den unermüdlichen Einsatz eines besonderen Menschens, der nicht genannt
werden möchte, bei der Archivierung und Vergrösserung der Fotogafieneines ,wäre
diese Ausstellung nicht entstanden.

Christiane Niggemann, Bochum April 2004